Augustin, S.; Graf, K.-R.:
Das Planspiel logtime
Focus: Planungs- und Dispositionsprozesse.
In: Ausbildung in der Logistik
Hrsg.: Engelhardt-Novitzki, C.
Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag 2006, S. 182-187.


 

 

Das Planspiel logtime

 

 

 

Prof. Dr. Siegfried Augustin

Prof. Dr. Karl-Robert Graf

 

 

 

 

Das Konzipieren und Implementieren von Supply Chains erfordert bei allen Beteiligten die ausgeprägte Fähigkeit, in Prozessen zu denken und zu handeln. Sie steht in scharfem Gegensatz zur herkömmlichen Funktionsorientierung, die in vielen Unternehmen noch praktiziert und durch Kostenrechnungssysteme, Organisationsstrukturen, Zielvorgaben und Karrieremechanismen unterstützt wird. Um die offensichtlichen Vorteile der Prozess­orientierung nutzen zu können, bedarf es nicht nur einer Verhaltens-, sondern auch einer Bewusstseinsänderung. Diese schon vor Jahren erkannte Problematik führte zur Ent­wicklung von Planspielen als geeignete Trainingsmethode.

 

Das Planspiel logtime wurde in erster Linie zu dem Zweck entwickelt, in Logistikprojekten die Betroffenen im logistischen Denken und Handeln zu trainieren und die Unterschiede zwischen funktionalem Denken und Prozessorientierung deutlich zu machen. Es wurde dann alsbald in der betrieblichen Weiterbildung, zur Vorbereitung von Logistikprojekten und in der akademischen Lehre eingesetzt.

 

Die Intention des Planspiels besteht darin, in drei Spielrunden jeweils 36 Uhren in 6 Varianten so zu produzieren, so dass die Anforderungen des Vertriebs, in einem bestimmten Zeitraster die Uhren ausliefern zu können, erfüllt werden.

 

Die Versorgung der Kapazitätseinheiten erfolgt über ein Rohmaterial-, Teile- und Baugruppenlager durch die Mitarbeiter in der Fertigung. Fertiggestellte Teile, Baugruppen und Erzeugnisse werden aus der Fertigung dem Lager wieder zugeführt und dort verwaltet (Abb. 1).

 

Aufträge werden vom Vertrieb als Vertreter des Marktes in einer vorgegebenen Reihenfolge und bestimmten Zeitintervallen abgerufen. Gefertigt wird im Ausgangszustand nach einem vorgegebenen Fertigungsprogramm.

Abb. 1: Elemente in logtime

 

 

 

Die Ausgangsstruktur für Spielrunde 1 mit Arbeitsplätzen,

Fertigungslayout und Produktionsprogramm sind rein funktionsorientiert (Abb. 2). Es gibt zwei Vorfertigungs- und einen Montagearbeitsplatz, drei

Arbeitsplätze zur Veredelung, zur Qualitätskontrolle und Nacharbeit

sowie ein Lager mit Lagerverwalter. Je ein Mitarbeiter befasst sich

mit Vertrieb und Produktionslogistik. Gemessen werden in allen

Runden die Anzahl der gelieferten Uhren, der Fertigungsrückstand,

Lieferfähigkeit, Fertigungsqualität, Fertigungsdurchlaufzeit und

Bestände sowie die Arbeitsproduktivität.

Abb. 2: Ausgangsstruktur für Spielrunde 1

 

Die Ergebnisse der Spielrunde 1 fallen in der Regel sehr schlecht aus. Die Gründe dafür liegen in der funktionsorientierten Ausgangsstruktur, die kaum Möglichkeiten für ein Fließen in den Prozessen bietet, d.h., der Anteil der Wertschöpfung in den Prozessen ist sehr gering.

 

Nach der Auswertung von Spielrunde 1 wird für die gemessenen Werte - bei mehreren Gruppen im Plenum - eine gemeinsame Zielplanung durchgeführt, deren Ergebnisse für die nachfolgende Beratungsrunde als Vorgabe dienen. Es folgt eine 60 bis 90 minütige Beratung in der Gruppe - bei mehreren Gruppen getrennt voneinander. Dabei wird überlegt, durch welche Maßnahmen die Ziele erreicht werden sollen. Es obliegt der Entscheidung des Spielleiters, ob er in den Beratungsrunden eingreift und gegebenenfalls  Verbesserungshinweise gibt. Der Lerneffekt ist natürlich größer, wenn die Teilnehmer durch eigene Überlegungen zu Lösungen kommen.

 

Diese Beratungsrunde sollte von einem der Teilnehmer, am besten von demjenigen, der die Produktionslogistik betreut, moderiert werden. Sie umfasst eine Schwachstellenanalyse und eine Neukonzeption der Produktionsprozesse, stellt also in der Regel ein typisches Business Process Reengineering (BPR) dar. Die Entscheidung sollte im Konsens aller Teilnehmer getroffen werden. Nachdem die entsprechenden Veränderungen von der Teilnehmergruppe vorgenommen worden sind, wird die Runde 2 durchgeführt, die erfahrungsgemäß wesentliche Verbesserungen zur Folge hat, die eindeutig auf  die Abkehr von der Funktionsorientierung und die Zuwendung zur  Prozessorientierung zurückzuführen sind. Oft wird jedoch die verbesserte Lieferfähigkeit durch vergleichsweise hohe Bestände erkauft.

 

Nach Auswertung der Ergebnisse von Runde 2 werden eine weitere Zielplanung sowie eine zweite Beratungsrunde durchgeführt. Diese hat nunmehr Maßnahmen zur Folge, die den Charakter eines Kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP) aufweisen und zu weiterer Verbesserung der Zielerreichung führen sollen. Nach Runde 3 werden wieder die Ergebnisse ermittelt, mit den Zielwerten verglichen und in einer Abschlussdiskussion auf ihre Relevanz für die Logistikpraxis hin diskutiert.

 

 

Dabei zeigen sich

 

-         der Zusammenhang zwischen Prozessorientierung und logistischen Größen wie Beständen, Durchlaufzeiten und Lieferfähigkeit,

-         der Zusammenhang zwischen Logistik und Qualitätsmanagement,

-         die wesentlichen Merkmale von BPR und KVP (Abb. 3),

-         das sinnvolle Zusammenwirken von BPR und KVP,

-         der Einfluss von Prozessorientierung auf Arbeitsproduktivität.

 

 

Die Grundprinzipien der Logistik - Fließprinzip, Ganzheitlichkeit und Markt-/Kundenorientierung - sind für die Teilnehmer unmittelbar zu erleben und nachzuvollziehen. Im Spiel können Konzepte wie Multiple Skills, Just-in-Time, Kanban, neue Organisationsformen, neue Formen der Informationsversorgung wie Visible Management etc. realisiert werden. 

 

Vor allem ist das sinnvolle Zusammenwirken von BPR und KVP in den Spielrunden 2 und 3 spürbar. In der Spielrunde 2 werden meist die bisherigen Abläufe grundlegend in Frage gestellt, geändert oder völlig neue Prozesse kreiert. Im Wesentlichen führen diese Maßnahmen zu deutlichen Verbesserungen, es ist aber – so wie in der betrieblichen Praxis – meist noch kein Idealzustand im Prozess erreicht. Es bedarf noch kleiner Verbesserungen in Form eines          „Feintunings“ der Prozesse, aber auch oft neuer Überlegungen hinsichtlich der Beherrschung des Bestandsproblems.

 

Abb. 3: Zusammenwirken von BPR und KVP

 

Bei der Durchführung von logtime werden folgende Spielphasen durchlaufen:

Abb. 4:  Phasen des Spielablaufs von logtime

Ein Vorteil von logtime liegt darin, dass es unter verschiedenen Aspekten gespielt werden kann, wie sie auch in der betrieblichen Praxis für die Logistik maßgebend sind: Qualitätsmanagement (speziell Total-Quality-Management), Teamentwicklung, Kommunikation und Kapazitätsanpassung. Für die Vermittlung der methodischen Grundlagen des Prozesskosten-Managements und der Prozesskostenrechnung existiert eine modifizierte Version von logtime.

 

Das Planspiel endet mit einer Abschlussdiskussion, in der entsprechend den Vorkenntnissen aus der Lehrveranstaltung, aus der Studienrichtung oder aus der beruflichen Praxis der Teilnehmer die Möglichkeiten der  Umsetzung des erworbenen Prozessdenkens in der Realität erörtert werden.

 

Die Erfahrung aus mehreren hundert Einsätzen an Universitäten, Fachhochschulen und Unternehmen verschiedenster Branchen zeigt, dass die Lernziele hinsichtlich Prozessverständnis, Qualitätsdenken und der flankierenden Effekte im wahrsten Sinn spielerisch, also mit hoher Motivation und zum Teil tiefgreifenden Erkenntnissen erreicht werden.

 

 

 

Technische Daten des Planspiels „logtime“

 

Spieldauer:            ca. 1-2 Tag(e)

Teilnehmerzahl:     7 - 30 Personen (in Gruppen von 7 bis 10 Personen)

Einsatzgebiete:       Projektbegleitung
Innerbetriebliche Aus- und Weiterbildung
Externe Schulung
Studentische Ausbildung

Schwerpunkte:       Reengineering
Prozessmanagement
Ständige Verbesserung (KVP/KAIZEN)
six sigma
Just-in-Time Methoden
Logistik in der Produktion
Teambildung
Qualitätsmanagement
Zielfindung
Unternehmenssteuerung (Balanced Score Card)

Räumlichkeiten:     Mindestgröße für eine Gruppe 25 - 30 m²;
bei ausreichendem Raumangebot ist eine
Trennung der Spielgruppen möglich

Arbeitsmittel:         Overhead-Projektor, Flip Chart, 10 - 13 Spieltische je Gruppe , Spielunter­lagen

Sprachversionen:   Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch, Griechisch, Russisch, Chinesisch