Graf,
K.-R; Augustin S.:
Planspiele in KVP-Prozessen.
In: Zeitschrift für wirtschaftliche Fertigung und Automatisierung, München
90(1995)4, S. 148-150.
Neue Wege des Managements erfordern
neue Methoden ihrer Durchsetzung
Erfahrungen
mit Planspielen in KVP-Projekten
zwf_neu
Im
vorliegenden Beitrag wird aufgezeigt, inwieweit neue Methoden der
Wissensvermittlung bei der Projektarbeit und insbesondere bei der Einführung
kontinuierlicher Verbesserungsprozesse die dabei notwendige Bewußtseins- und
Verhaltensänderung herbeiführen können.
Unter
allen Konzepten und Programmen zur Produktivitätssteigerung in
Industrieunternehmen erfordert der Kontinuierliche Verbesserungsprozess (=
KVP) oder KAIZEN das höchste Maß an Bewußtseinsveränderung, bei operativen
Mitarbeitern ebenso wie bei Führungskräften. Diese Bewußtseinsveränderung ist
erforderlich, um eine aus der Überzeugung erwachsende Verhaltensänderung
herbeizuführen, die durch Kommunikation und Training vertieft und stabilisiert
werden kann. Die praktische Erfahrung zeigt, dass verändertes Denken und
Handeln durch Planspiele als neue Lehr- und Trainingsmethode schneller,
kostengünstiger und nachhaltiger realisiert werden können, als das bei herkömmlichem
Unterricht möglich ist.
Anspruch und Aufbau von
KVP-Spielen
Grau
ist alle Theorie. Am besten lernt man eben aus Fehlern, die man selbst gemacht
hat. Die reale Umwelt wiederum, ist als Übungsfeld bzw. Trainingslager zum
Sammeln von Erfahrung oft ungeeignet. Der Zeitaufwand und die Dauer zur
Erreichung gewisser Erkenntnisse in der realen Welt ist um ein Vielfaches
länger als in der Modellwelt eines Planspieles.
Was
für den Soldaten das Manöver, den Piloten der Flugsimulator oder den
Fertigungsplaner die Computersimulation, kann künftig für einen Projektmitarbeiter
das Planspiel sein. Jede der genannten Berufsgruppen hat an die von ihr
eingesetzten Simulationsmethoden, zu denen auch das Planspiel zu zählen ist,
ihre eigenen und sachspezifischen Anforderungen. Diese jedoch können in allen
Fällen zunächst einmal auf einheitliche Basisanforderungen reduziert werden:
Vermittlung
von Sachwissen über Funktionen sowie Zusammenhänge,
Überzeugung
von der Notwendigkeit bestimmter Maßnahmen und Vorgehensweisen und
Training
der Beteiligten für den Einsatz in der Realität.
Überträgt
man diese Erwartungen auf den Einsatz von Planspielen in der Projektarbeit zur
Einführung eines Kontinuierlichen Verbesserungsprozesses, so können folgende
speziellen Anforderungen daraus abgeleitet werden.
Dem
Teilnehmer sollen durch die Mitwirkung am Planspiel Bedeutung und
Vorgehensweise bei der Einführung eines Kontinuierlichen Verbesserungsprozesses
bewußt werden.
Desweiteren
soll er für die Erkennung von Verbesserungspotentialen sensibilisiert werden
und diese sogenannten "Problemschätze" auch bewerten können.
Durch
eine zeitlich und räumlich überschaubare Modellsituation sollten Prozessabläufe
verdeutlicht und die Vorteile einer prozessorientierten Vorgehensweise erkannt
werden.
Außerdem
sollten Methoden zur Auswahl, Durchführung und Bewertung von Verbesserungsmaßnahmen
vermittelt und im Planspiel eingeübt werden.
Das Planspiel
Ein im oben
beschriebenen Umfeld und den genannten Ansprüchen genügendes Planspiel ist das
Logistik- und Produktionsplanspiel logtime (Logistik-Prozesse Just-in-Time).
Konkretes
Lernziel dieses Planspiels ist die Anwendung und Vertiefung von Lehrinhalten
bezüglich Kontinuierlicher Verbesserungsprozess (KVP) bzw. Kaizen, Just-in-Time,
Reengineering, Prozessintegration und Lean Management, also letztlich zum
Thema Logistik in der Produktion.
Hierzu dient
ein einfacher Modellbetrieb, in dem die Teilnehmer selbst die verschiedenen
betrieblichen Funktionen ausüben. Durch die Einfachheit des Modellbetriebes
erhält der einzelne Teilnehmer rasch einen Überblick über die wesentlichen
Funktionen und Zusammenhänge des betrieblichen Geschehens und kann schon nach
kurzer Zeit Schwachstellen erkennen.
Der Modellbetrieb besteht
aus mehreren Kapazitätseinheiten (Arbeitsplätzen bzw. Abteilungen) und ist
unterteilt in die Bereiche Produktionsplanung und -steuerung, Vorfertigung,
Montage, Qualitätssicherung und Vertrieb. Im Ausgangszustand wird eine
funktional, nach dem Verrichtungsprinzip gegliederte und traditionell
organisierte Produktionsorganisation vorgegeben.
Gefertigt werden mehrere
reale Produkte in verschiedenen Varianten.
Die Durchführung des
Planspiels erfolgt über mehrere Perioden in Gruppen zu je 7-12 Teilnehmern. Das
Spiel kann mit nur einer Gruppe oder parallel mit zwei bzw. drei Gruppen
durchgeführt werden.
Abb. 1 zeigt die einzelnen
Elemente des Betriebsmodells
Abb. 1 Elemente des Betriebsmodells
Aufgabe
der Gruppe(n) ist es die vorgegebene Produktionsorganisation durch situationsgerechte
Maßnahmen und Maßnahmenkombinationen so umzugestalten, dass eine verbesserte
Logistikleistung mit ihren Komponenten Liefertreue, Lieferzeit, Lieferfähigkeit,
Lieferqualität und Flußgrad bei minimalem Bestand erreicht wird. Die möglichen
Maßnahmen werden je nach Ausbildungsstand der Teilnehmer entweder in einem
Maßnahmen-Katalog vorgestellt oder müssen von den Teilnehmern selbst in
Diskussionsrunden erarbeitet und verabschiedet werden. Dieses sind:
Produktbezogene
Maßnahmen
Prozessbezogene
Maßnahmen
Lenkungsbezogene
Maßnahmen.
Der
Teilnehmer praktiziert die Realisierung dieser Maßnahmen zur Schaffung einer
schlanken Produktion im Sinne der Kaizen-Philosophie in kleinen Schritten.
Er erkennt somit die Wirkungsweise der getroffenen Maßnahmen und erhält eine
Vorstellung über eine sinnvolle Reihenfolge ihrer Realisierung. Damit erfolgt
eine Herabsetzung der eigenen Hemmschwelle für die Durchführung von Maßnahmen
im eigenen Arbeitsbereich der betrieblichen Realität.
Nach
jeder Planperiode wird die über den zeitlichen Verlauf festgestellte Logistikleistung
mit den Ergebnissen der vorangegangenen Periode und denen konkurrierender
Gruppen gegenübergestellt. Somit wird auch die Grundidee eines Benchmarkings
vermittelt.
Gespielt werden
üblicherweise drei bis vier Spielperioden. Die Gesamtdauer eines Planspiels
beträgt etwa einen Tag.
Abb. 2 gibt einen Überblick
über den möglichen zeitlichen Ablauf eines Planspieles
Abb. 2 Zeilicher Ablauf
eines Planspieles
Ergebnisse
logtime wurde 1991
entwickelt. Inzwischen ist dieses Planspiel nahezu 100 mal zum Einsatz
gekommen, ca. 1000 Personen haben es aktiv kennengelernt.
Eine Auswertung über die
Summe aller Planspielergebnisse ergab die in Abbildung 3 dargestellten Ergebnisse.
Abb. 3 Ergebnisse über
den Spielverlauf
Alle Teilnehmergruppen haben
über drei bis vier Spielrunden eine höhere Kundenzufriedenheit durch
verbesserte Lieferzeiten und einer verbesserten Liefertreue realisieren können
und dies nicht zuletzt aufgrund der verbesserten Fertigungsqualität. Erzielt
wurden diese Ergebnisse bei einer Verkürzung der Durchlaufzeit von über 90%
sowie einer Bestandssenkung um fast 70% und einem Arbeitsaufwand von nur noch
ca. 30% in der Endrunde.
Erfahrungen
Die Erfahrung zeigt, dass
Planspiele für alle Zielgruppen geeignet sind, die sich mit der genannten
Thematik auseinandersetzen wollen. So erfolgte der Einsatz in Lehrlings- und
studentischen Veranstaltungen, beim Meistertraining, in offenen Seminaren mit
Teilnehmern aus unterschiedlichen Unternehmen und insbesondere bei der Einführung
von KVP-, Prozessorganisations- und Reengineering-Projekten in bereichs- und
hierarchieübergreifenden Gruppen vom Lehrling bis zum Werksleiter.
Üblicherweise erfolgt der Einsatz von Planspielen in der Projektarbeit auf der
Ebene des mittleren Managements bis zur Meisterebene. In nicht wenigen Fällen
ist die Werksleitung aktiv am Spiel mit beteiligt.
Spielerisch können die
Teilnehmer die Zusammenhänge und Wirkungsweise von Maßnahmen sehr schnell und
einprägsam begreifen. Durch das aktive Spielen wird die Thematik anfassbar und
die Ergebnisse nachvollziehbar. Die gewonnen Erfahrungen haben gezeigt, dass
die Teilnehmer Spaß am Spiel haben und damit in hohem Maße konzentriert und
motiviert arbeiten. Von besonderer Bedeutung ist das Erlebnis der
Zusammenarbeit im Prozess und das Erlebnis der gegenseitigen
Kunden-Lieferantenrolle.
Empirische Untersuchungen,
aber auch Umfragen in den Teilnehmergruppen lassen darauf schließen, dass im
Spiel erworbene Erkenntnisse sich intensiver einprägen und nachhaltiger in der
Erinnerung zurück bleiben als dies bei anderen Lehrmethoden der Fall ist. Das
Spiel sensibilisiert für bestimmte Problemsituationen, vermittelt Wissen und
hilft Hemmschwellen für die Durchführung zukünftiger Maßnahmen abzubauen.
Bei
der Vermittlung von Wissen im Rahmen von Planspielen spielt der
Abstraktionsgrad sowie die Komplexität der Thematik und die des Spielaufbaus
und -ablaufs eine wichtige Rolle.
Es
existiert heute eine ganze Reihe von Planspielen, die sich neuerer
fortschrittlicher Spielmedien aus der Kinder- und Jugenderziehung bedienen.
Beispiele hierfür sind Plastikbausteine oder Technikelemente renommierter
Spielwarenhersteller. Die Praxis jedoch zeigt, dass mit der Distanz von realen
Produkten und realen Situationen in gleichem Zuge auch die Akzeptanz der
Teilnehmer für die Übertragung von Erkenntnissen auf ihr eigenes Umfeld sinkt.
Andererseits kann aber auch festgestellt werden, dass wiederum eine zu große
Identifikation des Einzelnen mit der vorgegebenen Situation, die Motivation
hemmt und in Einzelfällen sogar zu einer Ablehnung führt. Diese Erfahrung
konnte insbesondere bei Teilnehmern des mittleren Managements festgestellt
werden.
Die Komplexität der Thematik
ist wiederum so zu gestalten, dass sie vom Teilnehmer im vorgegebenen
Zeitrahmen erfaßt wird und die erzielten Ergebnisse nachvollzogen werden
können. Der Aufbau des Planspieles, aber auch die Darstellung des Spielaufbaus
und -ablaufs selbst, ist auf ein notwendiges Maß zu begrenzen, damit der
Teilnehmer nicht unnötig von der eigentlichen Thematik abgelenkt wird.
Beim
praktischen Einsatz eines Planspieles zur Unterstützung der Projektarbeit hat
es sich gezeigt, dass der zeitliche Abstand zur Umsetzung erster Maßnahmen in
der Realität möglichst gering sein sollte. Die Motivation zur Umsetzung
gewonnener Erkenntnisse ist unmittelbar im Anschluß an das Planspiel am
höchsten und sinkt mit dem zeitlichen Abstand.
Abgesehen von thematischen
Anforderungen wie der Vermittlung von Logistikwissen, sollte das
Planspielmedium selbst ein Beispiel für die logistikgerechte Gestaltung von
Objekten darstellen. Hierzu wurde der physikalische Umfang bzgl. Volumen,
Gewicht und Teilevielfalt möglichst einfach gestaltet. Eine höhere Mobilität
und ein geringer Steuerungsaufwand beim internationalen Einsatz sind das Ergebnis.
Das gesamte Planspiel logtime läßt sich in einem Pilotenkoffer unterbringen.
Die Pflege des Spieles ist durch die eingeschränkte Teilevielfalt unproblematisch
und kann nach kurzer Einarbeitung auch von Drittpersonen durchgeführt werden.
Inzwischen wurde logtime außerhalb Deutschlands auch in England, der Schweiz,
Belgien und Rußland eingesetzt. Entsprechende landessprachliche Versionen
konnten aufgrund der umfangreichen Verwendung von Sinnbildern mit einem
akzeptablen Aufwand realisiert werden.
Weiterentwicklung und Ausblick
In
der Zwischenzeit hat sich die Epidemie des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses
auch auf anderen Arbeitsfelder ausgebreitet. Von Lean-Management spricht man
in den Chefetagen, von Lean-Banking im Bankgewerbe und auch in der Politik
wurde schon ab und an das Wort 'schlank' in den Mund genommen.
Als
Antwort auf diese Entwicklung wurde in den letzten zwei Jahren ein neues
Planspiel zur Unterstützung von KVP-Projekten in Verwaltungsbereichen
entwickelt und im letzten Jahr vorgestellt.
Das
Planspiel sl-office (streamline-office) verfolgt gleiche Ziele wie das
beschriebene Planspiel logtime, allerdings auf der administrativen Ebene.
Am
Beispiel einer Auftragsabwicklung werden Methoden und Wege zur Einführung von
Kontinuierlichen Verbesserungsprozessen in der produktionsnahen Verwaltung
(Einkauf, Rechnungswesen, ...) abgebildet.
Es
ist nicht verwunderlich, dass die Abbildung der Verwaltungsbereiche einen
größeren Umfang einnimmt, als dies bei der Abbildung der Modellfertigung von
logtime notwendig ist. Kann logtime noch in einem Zeitrahmen von einem Tag und
mit wenigstens 7 Personen gespielt werden, so sind für das Planspiel
sl-office, das den Verwaltungsteil von logtime repräsentiert, mindestens
eineinhalb Tage und 9 Personen einzuplanen.
Die
Autoren dieses Beitrags
Prof.
Dr.-Ing. Karl-Robert Graf, Jahrgang 1952, ist seit 1982 im Bereich
internationaler Unternehmens- und Betriebsorganisation tätig. Von 1986 bis 1991
war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Arbeitswissenschaft und
Betriebsorganisation (ifab) der Universität Karlsruhe. 1991 gründete er die
Unternehmensberatung Dr. Graf & Partner GmbH, die im Rahmen ihrer
Beratungstätigkeit Planspiele wie auch die in diesem Beitrag beschriebenen entwickelt
und durchführt. Er ist Lehrbeauftragter der Universität Marburg im Fach
Logistik in der Produktion und seit 1994 Professor für Fertigungs- und Materialwirtschaft
an der Fachhochschule Heilbronn.
Dr.
habil. Siegfried Augustin, Jahrgang 1946, promovierte 1973 und habilitierte
1991 an der Montan-Universität Leoben. Seit 1973 ist er Mitarbeiter der Siemens
AG und seit 1988 in der zentralen Logistik tätig. Er ist Vorstandsmitglied der
BVL (Bundesvereinigung Logistik) Österreich und Mitglied des IFIP
(International Federation for Information Processing). Desweiteren ist er
Univ. Dozent und Lehrbeauftragter für Informationslogistik an der Montan-Universität
Leoben und der Universität Nürnberg-Erlangen, für Arbeitssteuerung an der
Technischen Universität Karlsruhe und für Logistik in der Produktion an der
Universität Marburg.